Pfingstmontagspredigt 2023 (Lk. 19) (2024)

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Liebe Gemeinde

Wir hören als Evangelium die Geschichte vom Zöllner Zachäus aus dem Lukasevangelium. In dieser Geschichte wird von jemandem erzählt, der aus der Gemeinschaft herausgefallen ist. Der alleine ist, und der von den anderen nicht gemocht wird. Doch hören Sie selbst:

Jesus ging nach Jericho hinein und zog durch die Stadt.Und siehe: Es lebte in Jericho ein Mann namens Zachäus. Er war der oberste Zolleinnehmer in der Stadt und er war sehr reich. Er wollte unbedingt sehen, wer dieser Jesus sei. Aber er war klein von Gestalt, und die Menschenmenge versperrte ihm die Sicht. So lief er voraus und kletterte auf einen Maulbeerbaum, um Jesus sehen zu können,denn dort musste er vorbeikommen. Und als Jesus an die Stelle kam, sah er auf und sprach zu ihm: „Zachäus, steig schnell herunter, denn ich muss heute in deinem Haus einkehren.“ Und Zachäus stieg schnell vom Baum herunter und nahm Jesus voller Freude bei sich auf.
Alle sahen es und sie murrten und sprachen: „Bei einem Sünder ist er eingekehrt.“ Aber Zachäus wandte sich an den Herrn und sprach: „Siehe Herr, ich verspreche dir: Ich werde die Hälfte von meinem Besitz den Armen geben, und wenn ich je manden betrogen habe, will ich es ihm vierfach zurückgeben.“ Darauf sprach Jesus zu ihm: “Heute ist diesem Hause Heil widerfahren, denn auch er ist Abrahams Sohn. Denn der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“

Liebe Gemeinde
Die Geschichte von Zachäus ist einfach und doch ist sie nicht banal. Sie hat, wie alle biblischen Geschichten, eine ganz eigene Tiefe.

Um was geht es in dieser Geschichte?

Da ist zum einen Zachäus.
Er ist ein Zöllner. Doch darf man diesen Zöllner keineswegs mit den heutigen Zöllnern vergleichen. Damals regierten die Römer über das Land und pressten es wie eine reife Zitrone aus. Um sich die Arbeit zu sparen hatten die Römer dabei das Finanzwesen quasi privatisiert, um so - heute würden wir sagen: mit einer schlanken Verwaltung - ihre hohen Militärkosten und ihre Günstlingswirtschaft bezahlen zu können. Genau da kommen nun die Zöllner ins Spiel. Sie gingen mit ihrem Geld in die Vorkasse und kauften sich bei den Römern für eine bestimmte Zeit das Recht, Steuern einzutreiben. Die Römer hatten so immer ein sicheres Einkommen, egal, was geschah. Umgekehrt schützten die römischen Soldaten die Zöllner, ganz egal wie hoch der Zoll war, den sie erhoben, und auch ganz egal, ob sich die Zöllner das Geld anschließend in ihre eigene Tasche steckten.
Dieses System war damals ein Grund dafür, warum es so vielen Menschen zur Zeit Jesu wirtschaftlich so schlecht ging. Denn die Zöllner nutzten ihre Möglichkeiten bis an die äußersten Grenzen aus. Dabei waren sie meist nicht allein, sondern schlossen sich zu Gruppen zusammen. Denn einer allein hatte meist gar nicht die finanzielle Kraft, um die Römer für das Privileg, Steuern erheben zu dürfen, zu bezahlen. Zachäus war vermutlich der Chef einer solchen lokalen Zöllner-Gruppe. Und war deswegen bei allen Menschen in der Stadt verhasst.

Was macht das mit einem Menschen, wenn er so leben muss? Ausgrenzt, immer mit schiefen Blicken bedacht, nie ein freundliches Wort? Es macht einsam. Zutiefst einsam. Und darüber hilft auf Dauer auch das Geld und die eine oder andere Freundschaft mit einem der anderen Zöllnern nicht hinweg. Die Einsamkeit bleibt. Sie klebt an einem, wie das Harz an den Bäumen. Je länger, je mehr.

In der Bibel heißt es, Zachäus sei klein. Doch betrifft dieses Kleinsein nicht nur seinen Körper. Er ist auch innerlich klein. Er ist hilflos. Bedürftig. So wie manchmal auch wir innerlich klein sind und nicht mehr weiterwissen. Was sollen wir dann tun? Was sollen wir dann machen?

Jammern und lamentieren? Menschen machen so etwas gern. Es löst einen Teil unserer inneren Spannung. Doch es hilft es uns auf Dauer nicht weiter. Es festigt nur das Elend. Denn je länger wir jammern, umso mehr gewöhnen wir uns an unsere Lage, bis wir sie am Ende für unabänderlich halten. Man kann ja eh nichts machen!

Zachäus sieht das nicht so. Er lamentiert nicht. Er jammert nicht. Er macht etwas. Er klettert auf einen Baum. Und sucht sich so, mit dem Überblick von oben, Hilfe, um aus dem System, in dem er gefangen ist, auszubrechen.

An dieser Stelle ist es nun höchste Zeit, sich Jesus zuzuwenden, der anderen Hauptperson in dieser Geschichte. Was ist mit Jesus? Und wie sieht es mit der Gemeinschaft bei ihm aus? Denn um Gemeinschaft geht es heute ja, an diesem Pfingstmontag.

Jesus hat eine Fülle an Gemeinschaft. Von Mangel kann bei ihm keine Rede sein. Überall um ihn herum sind Menschen, die mit ihm reden wollen, oder die ihm einfach nur nah sein wollen. Sie drängen sich nach vorne, so viele, dass er sich gar nicht allen gleichzeitig zuwenden kann.

Wie geht Jesus mit diesem Überfluss um? Gewöhnt er sich daran? Wird er eitel und sucht sich nur noch die Schönsten und Besten aus, um mit ihnen zu reden? Oder sieht er nur noch die Masse und nimmt die einzelnen Menschen gar nicht mehr wahr?

Beides wäre verständlich, wenn man jeden Tag von so vielen Menschen umgeben ist. Doch wäre Jesus so nie berühmt geworden, wenn er so gehandelt hätte. Nein. Jesus macht es anders. In der Bibel wird erzählt, dass sich Jesus immer wieder zurückzieht. Er sucht die Einsamkeit. Dort redet er mit Gott. Auch eine Art von Gemeinschaft. Ganz für sich allein. Geradezu intim. Dort findet er die Ruhe und die Kraft, um danach wieder auf die Menschen zuzugehen. Auf jeden Einzelnen. Er sieht sie an. Sieht ihre Freude. Ihre Not. Auf diese Weise ist er berühmt geworden. Jesus sah die Menschen. Jede und jeden von ihnen.

Auch an diesem Tag ist er so unterwegs. Dabei sieht Jesus nicht nur die Menschen, die sich zu ihm nach vorne drängen, nein, hin und wieder wendet er seinen Blick auch nach oben. Vielleicht, um mit Gott zu reden? Wer weiß? Oder um den Blick für die nächste Begegnung freizubekommen,? Bei einem dieser Blicke nach oben sieht er Zachäus, der klein und dick auf einem Baum sitzt. Ein erstaunlicher Anblick, der ihn neugierig macht.

„Wer ist dieser Mann?“, fragt er die Umstehenden.
„Ach der! Das ist nur Zachäus!“, bekommt er zu hören.
„Beachte ihn nicht. Er ist es nicht wert!“
Doch Jesus hört nicht auf die Stimmen. So kommt die Begegnung in Gang.

Jesus spricht Zachäus an und sie gehen im Anschluss in das Haus von Zachäus. Die Leute zerreißen sich darüber den Mund. Aber Jesus und Zachäus ist das egal. Sie sehen nicht auf das, was die anderen sagen. Sie sehen auch nicht auf ihre eigenen Vorurteile: nicht Zachäus, der in seinen schlechten Tagen in Jesus vielleicht nur einen verrückten Wanderprediger sehen würde, der mittellos durch das Land zieht; und auch nicht Jesus, der in Zachäus nicht den Zöllner sieht, der die Menschen erbarmungslos auspresst, sondern den Menschen, der dahinter steht. So bekommen sie einen Raum, sich zu begegnen. Sie sehen sich!

Wann haben Sie zuletzt einen anderen Menschen auf eine solche Weise angesehen? Ohne fremde Gedanken von außen? Ohne zu denken, ich weiß ja schon alles über ihn oder sie? Ohne Vorurteile, einfach so. Wie sieht er aus, heute? Was sagen ihre Augen, wenn ich in sie sehe?

Sich gegenseitig auf diese Weise zu sehen, tut uns Menschen gut, in allen Bereichen.

In unserem privaten Umfeld, in unseren Beziehungen. Dass wir uns so sehen, so wie wir in diesem Moment sind. Manchmal kann man dabei vielleicht erschrecken. Man sieht die Spuren des gelebten Lebens, bei sich selbst, wie auch bei dem oder der anderen. Manchmal sieht man auch das, was in dieser gemeinsamen Zeit alles gewachsen ist, an Vertrauen, an Gemeinschaft, an Liebe. Und da ist auch noch Platz für das Leben, das noch vor einem liegt und das Hoffnung macht.

Sich auf eine solche Weise anzusehen, tut uns als Gesellschaft gut, nach der Corona-Pandemie. Dabei ist diese Corona-Pandemie gefühlt schon lange vorbei. Trotzdem stecken die Erfahrungen noch in uns und manchmal kommen diese Erfahrungen auch wieder zurück und verstellen uns den Blick. Sich anzusehen, hier und jetzt, zu sehen, was jetzt ist, tut uns allen gut.

Und nicht zuletzt tut ein solches Sehen auch der Politik gut. Damit sie nicht auf die Fragen von Morgen mit den Antworten von gestern reagiert.

Dabei ist es nicht so einfach, einen anderen Menschen auf diese Weise anzusehen. Es kostet Kraft, wissen zu wollen, wie es dem anderen in diesem Moment geht. Es kostet Kraft, nur zu sehen, nur zu hören, ohne Vorurteile und ohne moralisches Besserwissen, das Ratschläge erteilt, unter dem Motto, das musst du jetzt so machen oder so. Stattdessen: nur zu sehen. Und nur zu hören.

Jesus macht genau das. Und als er Zachäus so ansieht, als Jesus ihm so zuhört, merkt Zachäus, dass sein Leben, so wie er es lebt, nicht gut ist. Nicht für ihn. Und auch nicht für die anderen.
Es tut ihm gut, dieses diffuse Gefühl, das ihn schon lange quält, auszusprechen, ohne dass der andere ihn deswegen verurteilt oder ihm Ratschläge gibt. Es tut ihm gut, sich nach und nach der eigenen inneren Wahrheit anzunähern, die ihm hilft, selbst den nächsten Schritt zu tun.

Und diesen Schritt macht Zachäus. Er sagt: Ich gebe die Hälfte meines Besitzes den Armen. Und gebe von dem, was ich unrechtmäßig eingenommen habe, das Vierfache zurück.

Zachäus setzt damit ein Zeichen. Nach allen Richtungen. Vor seinen Zöllnerkollegen kann er sich so nicht mehr blicken lassen. Er hat sie mit diesem Schritt verraten. Ja, er setzt sie moralisch unter Druck, das Gleiche zu tun. Auch am Zoll braucht er nun nicht mehr auftauchen. Wer würde ihm noch die überhöhten Zölle zahlen? Nein. Er hat mit diesen Worten seinen Ausstieg nach allen Seiten öffentlich bekundet. Und zugleich denkt er pragmatisch. Er behält eine Hälfte seines Geldes für sich. Weil er weiß, so schnell wird ihm keiner vertrauen. Er braucht Zeit, sich ein neues Leben aufzubauen. Und er braucht Geld dafür. Denn es wird mühsam sein. Trotzdem freut er sich darauf. Denn aus der Gemeinschaft mit Jesus ist die Möglichkeit zu einer neuen Gemeinschaft mit anderen Menschen gewachsen. Und dass alles nur, weil er gesehen wurde. Ganz und gar.

Liebe Gemeinde
Gottes Geist schenkt Gemeinschaft – unter diesem Motto steht der Gottesdienst am Pfingstmontag heute.
Die Zachäus-Geschichte erinnert uns daran, wie Jesus damals eine solche Gemeinschaft möglich gemacht hat. Es erinnert uns an den Geist von Jesus, den wir lebendig halten sollen. Nicht banal, mit einem: „Seid nett zueinander!“ Nicht moralisch, mit einem: „Du musst den anderen ohne Vorurteile ansehen!“, sondern in einem tieferen Sinn. Dass wir uns für Begegnungen mit anderen öffnen. Dass wir diese Begegnungen zulassen, wie auch die Veränderungen, die sich aus ihnen ergeben.
Damals, bei dem ersten Pfingstfest, haben Menschen erlebt, wie ein Funke von diesem Geist Jesu von einem auf den anderen übergesprungen ist, so dass sie begeistert nach draußen stürmten, um allen von ihrem Glück zu erzählen. So enthusiastisch müssen wir heute das Pfingstfest nicht feiern. Aber uns von diesem Geist anstecken zu lassen und zu den Begegnungen, zu denen er uns führt, dazu sind auch wir heute eingeladen. Sie und ich!

Denn in diesem Geist wohnt Gott selbst. Damals, als Jesus lebte, heute, hier mitten unter uns und auch morgen und übermorgen, bis in alle Ewigkeit. Amen.

Pfr. Paul Wassmer; Pfingstmontag 2023, Maulburg

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